Trans-Andalusia 2017


Rad: ROCKY MOUNTAIN Thunderbolt 750 (27,5")
Genutzte Bereifung:
Continental Mountain King 2,4" (v) / X-King 2,2" (h)
Tour-Profil: 1033 km, mehr als 14.000 Höhenmeter, Tagestemperaturen meistens zwischen 32 und 36 Grad, Luftfeuchtigkeiten bis 75%. Tagesetappen oft um oder über 100 Kilometer. Kein Ruhetag!


Tagesstrecken:


Tag 1: Garrucha - Almeria (103 km)
Tag 2: Almeria -
Ugíjar (100 km)
Tag 3:
Ugíjar - Lanjaron (65 km)
Tag 4: Lanjaron - Pinos Puente (72 km)
Tag 5: Pinos Puente - Baena (91 km)
Tag 6: Baena - Posadas (100 km)
Tag 7: Posadas - Arahal (100 km)
Tag 8: Arahal - Arcos de la Frontera - (85 km)
Tag 9: Arcos de la Frontera - Bormujos (106 km)
Tag 10: Bormujos - Huelva (112 km)
Tag 11: Huelva - Ayamonte/Grenze (100 km)


Schon länger hatte ich zwei Unternehmungen im Auge gehabt, die vom Umfang und der Organisation
her für eine einzelne Person ohne Unterstützung und Begleitung komplexer sind als eine "herkömmliche" Transalp: Eine Tour im Himalaya, die für Anfang 2018 angesetzt ist, sowie eine Durchquerung Andalusiens von Ost nach West, die vor allem aufgrund ihrer Distanz sowie der hohen Temperaturen eine massive Herausforderung darstellen würde.
Die Herbstferien standen an und der Wetterbericht für Andalusien lockte mit Temperaturen über 30 Grad und Dauersonnenschein. Dies kam mir nun gelegen und ich sah meine Chance, eine dieser beiden Expeditionen doch noch in 2017 unterbringen zu können. Wo eine "Durchschnitts-Transalp" - vor allem durch Länder wie Österreich und die Schweiz -, sportlich zwar absolut herausfordernd sein mag, aber immer durch Gegenden verläuft, in denen es vor guten Hotels und zahlreichen Möglichkeiten zur kulinarischen Einkehr nur so wimmelt, sieht man sich in Andalusien zwei Problemen gegenüber:

1.) KLIMA: Die Temperaturen sind im Hochsommer mit bis zu deutlich über 40 Grad geradezu unaushaltbar - vor allem im trockenen Hinterland. Auch im Herbst sind durchschnittlich 35 Grad für einen normalen Deutschen ebenso eine Qual bei solch langen Radabenteuern. Dazu kommen Luftfeuchtigkeiten um die 60-75%. Diese erschweren vor allem das Trocknen von Kleidung, ganz abgesehen davon, dass sie eine zusätzliche Belastung darstellen.

2.) Es ist zwar nicht so, dass man hier keine Unterkünfte finden könnte, aber diese sind insbesondere in der Sierra Nevada doch etwas weiter verstreut. Gerade dann, wenn man schon zahlreiche Kilometer in heißem Wetter hinter sich hat und die Nacht im Gebirge hereinbricht, kommt über 15 Kilometer kein größeres Dorf mehr, wo man eine Pension finden könnte.

Mein Rucksack stellte ein weiteres Problem dar: Der Trans-Alpin 30 von DEUTER ist ein wunderbares Produkt, das mich schon seit Jahren begleitet, aber bei solch langen Touren - geplant waren 11-13 Tage - wünschte ich mir, er hätte einfach 5 Liter mehr an Fassungsvolumen. Ich musste mir eh schon mit sehr wenig Unterwäsche behelfen, die ich beabsichtigte regelmäßig zu waschen. Leider wusste ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, dass man in den Pensionen und günstigeren Hotels Andalusiens fast nie einen Fön vorfindet, der es einem gestatten könnte, die Kleidung abends zu waschen und ausreichend trocken zu föhnen, bevor man sie wieder im Rucksack verstauen muss. Daher gestaltete es sich letztlich so, dass ich etwa alle drei bis vier Tage nur meine Kleidung waschen konnte. Zudem war eine weitere Fehlplanung die Mitnahme von langer Kleidung abseits meines Fleece-Windbreakers, den ich seinerseits aber zweimal sehr wohl benutzen musste. Die lange Hose brauchte ich am Abend aber nicht und auch das langärmlige Bikeshirt war nur Ballast, der mir den Rucksack unnötig füllte. Letztlich fuhr ich mit meinem Minimum an Kleidung, meiner kleinen Kamera, dem iPad, meinem Handy sowie deren Netzsteckern, meiner Geldbörse und einem kleinen Kulturtäschen mit den nötigsten Utensilien schließlich mit ca. 12 kg Gepäck auf dem Rücken - und das in hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten.
Ich wusste, ich müsse am 7. November wieder arbeiten und so musste ich mich beeilen. Am 21. Oktober 2017 fuhr ich mit dem Auto in Euskirchen ab und erreichte meinen Zielort Garrucha an der Ostküste Andalusiens um ca. 12 Uhr mittags am nächsten Tag - etwa drei Stunden später als geplant. 21 Stunden Autofahrt bedeuteten für sich schon extreme Strapazen und so war es nicht verwunderlich, dass ich auf meiner ersten Tour, die mich über 103 km nach Almeria führte und die ich aufgrund des verspürten Zeitrucks natürlich sofort bei Ankunft in Angriff nahm, mit ganztägigen, leichten Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. Dennoch fuhr ich zunächst voller Enthusiasmus munter drauflos. Besonders überraschend, da nicht eingeplant und zugleich faszinierend empfand ich das "Cagadero de Mineral" bei Agua Amarga, offenbar die Ruine eines alten Steinbruchs oder einer Töpferei. Oder war es ein Salzwerk? Egal! Denn genau hier bot sich die Kulisse, die man sich immer vorstellt. Vollkommen alleine im Nachmittagslicht hoch auf einer Klippe am Mittelmeer zeugten die Überreste von der ereignisreichen Geschichte der Region. Ein Traum! Aber schon bald musste ich einsehen, dass diese Monstertour nur schwer in den Herbstferien unterzubringen sein würde, wenn ich in dieser sengenden Hitze jede Strecke auf einer abgelegenen Schotterpiste durch die Hügel abseits der Straße nehmen würde. Zunächst tat ich dies noch, dann jedoch - aufgrund der drei verlorenen Stunden bei der Autofahrt - sah ich ein, dass ich hier und da auch mal die Straße nutzen sollte, wenn ich es vor Anbruch der Dunkelheit noch bis Almeria schaffen wollte. Und dort kam ich letztlich auch erst um 21 Uhr an, weil ich mich zunächst für Stunden durch das riesige, von streunenden, aggressiven Hunden durchsetzte Plantagenlabyrinth rund um Almeria kämpfen musste (keine schöne Erfahrung!) und anschließend neben der Autobahn nach Retamar auf einen extrem steilen, verblockten Trail navigiert wurde, der von der Straße durch einen durchgängigen, hohen Zaun getrennt wurde. Ich war bereits seit Stunden aufgrund meiner Kopfschmerzen und der Hitze ziemlich schlapp und dass ich mich mittlerweile bereits auf Kilometer in dieses abgezäunte Gebiet vorgearbeitet hatte, bemerkte ich erst als es zu spät war: Da stand ich nun bei anbrechender Dunkelheit irgendwo im absoluten Niemandsland, ohne Möglichkeit, mal eben schnell die Straße nehmen zu können, noch dazu mit zu Ende gehenden Trinkvorräten und ohne Aussicht auf eine Ausweichmöglichkeit. Zum ersten Mal kam so etwas wie Besorgnis in mir auf. Ich wusste, irgendwo müsse es auch wieder aus diesem Areal herausgehen und so fuhr und marschierte ich weiter, bis ich nach einer weiteren Stunde des Fluchens endlich eine Bundesstraße - in Spanien heißen sie "Nationalstraßen" und dürfen mit dem Rad befahren werden - sah. Nur ein steil abfallender Hügel trennte mich noch von ihr. Mit größtmöglicher Vorsicht stieg ich diesen herab. Fahren war hier nicht möglich. Als ich schließlich an der Straße ankam, dankte ich dem lieben Gott, holte meine LED-Leuchten aus dem Rucksack, montierte sie und ließ sie auch bis zum Abschluss der Tour am Rad. Ich sollte sie noch öfter nutzen müssen.
Jetzt hatte ich noch eine volle Stunde Fahrt hinein nach Almeria vor mir, die aber im Vergleich zu dem Erlebten wie Urlaub anmutete. An der Playa fragte ich mich nach empfehlenswerten Unterkünften durch und fand eine kleine, etwas rustikale, aber kostengünstige und vor allem direkt an der Playa gelegene Herberge. Nie freute ich mich mehr über ein klappriges Bett, eine Dusche und ein Abendessen.
Am nächsten Tag sollte es in die Sierra Nevada gehen. Die Sonne brannte mal wieder, wie sie das bis zum letzten Tag tun sollte. Lediglich am Nachmittag dieses zweiten Tages kam ich in der Sierra in ein starkes Gewitter. Zum Glück hatte ich dafür ja meine Jacke und meine Schutzhülle für den Rucksack. Dennoch durchdrang die extreme Luftfeuchtigkeit jede Faser meines Gepäcks. Da ich einige Zeit in Dal
ías zubrachte, um den Regen womöglich aussitzen zu können - eine Fehlannahme - verlor ich mal wieder wertvolle Zeit. Im kargen Gebirge Andalusiens ist jede halbe Stunde wichtig, und das meine ich so. Gegen 20 Uhr wurde es immer dunkler. Das Grau des verregneten Nachmittags wich rasch dem Schwarz der Nacht, in welcher ich nun versuchte, mit schwindenden Kräften ein Zimmer zu finden. Über Stunden erklomm ich Anhöhe um Anhöhe. Endlich sah ich ein Licht: das kleine Dorf Cherín. Dort hatte nur noch eine winzige Bar geöffnet und man wunderte sich über mein Anliegen, hier irgendwo eine Pension zu finden. Man sagte mir, dass ich dafür nach Ugíjar müsse, das noch weitere zehn Kilometer entfernt lag. Wenn man einmal in Spanien Rad gefahren ist, wird man sicherlich bemerkt haben, dass die Entfernungsangaben, vor allem auf Straßenschildern, nicht die Realität wiedergeben. Wo zehn Kilometer angezeigt werden, da sind in der Regel 15 oder 17 gemeint. Und entsprechend demotiviert fuhr ich nun durch die kalte Nachtluft der Sierra Nevada, nur begleitet von den Geräuschen der Grillen. Nirgendwo ein Mensch oder ein Auto, nur Dunkelheit. Jetzt bloß keine Radpanne! Aber irgendwie taten sich in diesem Moment Kraftreserven auf, wie ich sie auch am Vortag beim Entkommen aus dem abgezäunten Gebiet hinter Almeria beobachtet hatte. Wenn wirklich Not am Mann herrscht, kommt die zweite Luft. Und so schaffte ich es dann doch irgendwie bis Ugíjar, dessen Lichter meiner Vorstellung vom Paradies an diesem Abend sehr nahe kamen. Alleine die Tankstelle am Ortseingang war ein kleines Wunder. Frische Getränke! Cola! Wasser! Aquarius! Powerade! Ich deckte mich ein und ließ mir die nächste Pension empfehlen, wo ich auch sofort ein Zimmer bekam. An diesem Abend war ich fast noch glücklicher über meine Einkehrmöglichkeit als am ersten Abend, denn am zweiten Tag fuhr ich zwar ohne Kopfschmerzen, dafür aber mit dicken Beinen und verkrampfter Nackenmuskulatur. Schnell geduscht und dann im Erdgeschoss zu traditionellen Tapas eingefunden. Ein Traum! Als ich mich danach aufs Bett legte und in der von der Straße hereinscheinenden, orangefarbenen Straßenbeleuchtung langsam vor mich hin döste, fiel mir nach einigen Minuten das Geschrei auf, das irgendwo aus dem Ort zu kommen schien. Es störte mich nicht weiter, denn ich war glücklich über ein Bett, etwas Essen und warmes Wasser zum Duschen. Schließlich bemerkte ich, dass das  Geschrei noch von einem Klatschrhythmus begleitet wurde. Jetzt war es mir klar: ein Flamenco-Sänger! So schlief ich am zweiten Abend ein, irgendwo in einem kleinen Bergdorf der Sierra Nevada unter den Klängen des Flamenco.
Romantischer als in der Nacht zuvor konnte es jetzt ja nicht mehr werden. Und in der Tat waren die ersten Kilometer am nächsten Morgen auch relativ langweilig und von viel Asphalt geprägt. Heute sollte es auf "Schlagdistanz" zu Granada gehen. Über einige Stunden ging es höher hinauf, und die Luft war angenehm klar, wenn auch heiß. Heute hatte ich mehr Ruhe, denn ich hatte einerseits zwei 100 km-Touren in zwei Tagen geschafft und war somit mehr als perfekt in der Zeit. Andererseits wusste ich, dass ich heute eh "nur" soweit fahren müsse, dass ich am nächsten Tag Granada erreichen könne. Mit 65 Kilometern war die heutige Tour zwar auch keine geschenkte, aber doch deutlich humaner als die Quälereien der beiden ersten Tage. Und so änderte ich auch meinen Stil ein wenig: Jetzt sah ich zu, dass meine Trinkflasche und auch meine beiden Seitentaschen am Rucksack immer prall gefüllt waren und ich in jedem kleinen Ort kurz an einer Bar rastete und etwas Frisches trank. Diese Taktik ging auf und sollte mich über die gesamte restliche Tour begleiten. Für Stunden ging es heute auf und ab. Die Anstiege machten mir nicht mehr soviel aus wie in den Tagen zuvor, denn ich konnte mit mehr Ruhe und Frische fahren, wenngleich das Wort "Frische" in Anbetracht komplett nass-verschwitzter Kleidung bei über 30 Grad als relativ zu verstehen ist. Am frühen Nachmittag führte ich zudem noch etwas anderes ein: den täglichen Mittagssnack. Ich gönnte mir ab diesem Tag immer irgendwo eine ausgedehnte Mittagsrast inklusive einem üppigen, gemischten Salat und einem zusätzlichen Gericht, etwa frittierten Calamares, einem Schinkenbaguette oder einer warmen Suppe. Gegen 18 Uhr kam ich diesmal in Lanjarón an. Mein Zimmer hatte einen Föhn und eine Terrasse mit Blick auf die Berge. Heute konnte ich also zum ersten Mal meine Tour neben der sportlichen Schinderei auch wirklich genießen. Ich hatte Zeit genug, vor dem Abendessen die Familie anzurufen, zu entspannen und meine Kleidung zu waschen und zu trocknen.
Am vierten Tag ging es weiter nach Granada, das ich nach ca. 50 km erreichte. Die Stadt selbst beeindruckte mich nicht sonderlich. Viel zu hektisch kam sie mir vor, nicht nur im Vergleich zu den Tagen in der Sierra Nevada. Das Viertel um die Alhambra war aber wirklich niedlich und so gönnte ich mir mein Mittagessen auch am Fuße des Weltwunders. 35 Grad waren es heute und die Hitze war unnachgiebig. Trinken, trinken, trinken heißt es da nur. Da ich von Granada aus in Richtung Córdoba wollte, verließ ich am Nachmittag die Stadt wieder und fuhr noch weiter bis in den Ort Pinos Puente, wo ich nach 72 Kilometern mein Zimmer ebenfalls wieder "in time" klar machte. So langsam bekam ich offenbar meinen Rhythmus rein.
Der fünfte Tag sollte die Distanz zu Córdoba wenigstens halbieren. Anvisiert war Baena. Heute sollte mein Weg durch zwei Provinzen gehen, die Provinz von Jaen und die von Córdoba. Und dieses Mal gab es auch endlich wieder viel fürs Auge, vor allem in Alcaudete, das mich mit seinem traditionellen Stadtkern und der hoch über dem Ort thronenden Burg verzauberte. Hier machte ich daher auch Pause, bevor ich über den "Via Verde del Aceite" in die Provinz Córdoba einfuhr und unter dem Gesang der Grillen über viele Kilometer dem Weg durch die ruhige Natur folgte. Nach 91 km kam ich im entspannten Baena an, abermals zeitig.
Tag 6 sollte Córdoba bringen, diejenige der großen Städte, für die ich mich noch am meisten interessierte. Und in der Tat gefiel mir diese auch deutlich besser als Granada, das zwar etwas kleiner, aber ungleich hektischer wirkte. Die "Mezquita Catedral" fügt sich hier bildhübsch in das Stadtbild ein, und das sie umgebende Viertel, die "Juderia", kann man nur als "malerisch" bezeichnen. Hier nahm ich mir die Zeit für meine nachmittagliche Rast, bevor ich mich aufmachte zu dem Ort, der mir vor Antritt der Reise aufgrund seiner Burg am verheißungsvollsten erschien und den ich unbedingt im Vorabendlicht erreichen wollte: Almódovar del Rio. Und nach weiteren 20 Kilometern sah ich es dann, das imposante "Castello de Almódovar del Rio". Im Gegensatz zu den Prunkbauten der Großstädte, die für mich im Morast des Stadtstresses irgendwie immer unterzugehen scheinen, trifft auf Almódovar del Rio dasselbe zu wie auf Alcaudete: Die Burg harmoniert perfekt mit dem traditionellen, romantischen Umfeld. Und dann dieses Licht! Es kam wie bestellt. Hier musste ich einfach verweilen und den Anblick am Abend genießen. Keine Touristen hier, nur diese Burg und ich - und die Grillen. Spätestens jetzt war diese Tour der ersehnte Erfolg und mit einem breitem Grinsen im Gesicht fuhr ich noch wenige Zeit weiter bis in den kleinen Ort Posadas, wo ich nach 100 gefahrenen Tageskilometern ein Zimmer fand, in dem ich einmal mehr beim Einschlafen von Flamencoklängen begleitet wurde. Insgesamt vielleicht der schönste Tag der gesamten Tour!
Nun musste ich mir überlegen, ob ich direkt nach Westen, nach Sevilla, fahren wollte, um sehr zeitig wieder an die Ostküste reisen und dort vielleicht noch ein, zwei Tage Strandurlaub dranhängen zu können, oder ob ich mir einen Abstecher nach Süden, nach Arcos de la Frontera leisten wollte. Ich entschied, dass eine Andalusienreise ohne eines der "weißen Dörfer" gesehen zu haben, nicht vollständig wäre, und richtete meine Weiterfahrt nach Südwesten, nach Arahal, aus, um für alle Fälle, doch nicht zu weit ab von Sevilla zu sein. Dieser siebste Tag verhieß eine einfache Tour durch verhältnismäßig flaches Gebiet. Jedoch gestaltete sich die Reise hinein in die Provinz Sevilla doch anstrengender als erwartet. Im munteren "Sägezahn-Profil" - ähnlich meiner Heimat, der Eifel - ging es auf und ab. Dazu kamen wieder hohe Temperaturen und an diesem Tag erstmals auch Gegenwind, und zwar starker. Er trocknete immer wieder blitzschnell die Kehle aus und daher stieg mein Wasserverbrauch auch wieder ins Unermessliche. Besonders quälend war an diesem Tag die Strecke von Fuentes de Andalucia nach Marchena, die 20 Kilometer lang ohne Schatten über eine wellige Schotterpiste führte. Salz und Schweiß brannten im Gesicht wie Feuer. Als ich die Silhouette von Marchena sah, kamen Erinnerungen an die Fahrt nach
Ugíjar am zweiten Tag auf. Ich sehnte mich nach einem kalten Getränk wie seit Tagen nicht mehr. Im Anschluss ging es weiter nach Arahal, wo ich tatsächlich und wider Erwarten Schwierigkeiten hatte, ein Zimmer zu finden, da die im Internet angezeigten Hotels gar nicht existent waren. Lediglich ein einziges Hotel-Restaurant an der Autobahn stand zur Verfügung und so kehrte ich hier nach 100 Kilometern dankbar ein.
Der achte Tag sollte der abenteuerlichste werden, vielleicht der insgesamt ereignisreichste und irgendwie "härteste". Ziel war heute das schöne Arcos de la Frontera, vom dem mich 85 Kilometer trennten. Schon am Morgen musste ich einen kleinen Fluss überqueren, indem ich über die glitschigen Steine im Flußbett balancierte. Andere Mountainbiker, die hier gerade ihre morgendliche Runde drehten und selbst nicht hinüberkamen, schauten dem verrückten Deutschen bei seiner Zirkusnummer zu. Anschließend gab es einen kurzen Plausch unter Gleichgesinnten. Als ich wieder aufstieg, spürte ich einen kleinen Stich. Ich vermutete, dass sich einmal mehr meine Jacke, die ich seit dem ersten Tag durch die beiden Halter des Rucksacks gezogen am Rücken mitführte, ungünstig gedreht hatte und mich daher wieder die Klettverschlüsse piesackten. Aber dann gab es einen zweiten Stich und einen dritten. Ich hielt an, entledigte mich meines Rucksacks, schüttelte mein Shirt aus und herunter fiel eine kleine Biene. Diese hatte mich also schonmal gut auf den Tag eingestimmt. Die weitere Fahrt verlief dann bis El Coronil problemlos. Hier jedoch leitete mich meine Navigation auf eine kilometerlange Schotterpiste, die irgendwo am Horizont verschwand. Wenige Minuten zuvor hatte ich noch widerwillig eine 1,5 L-Flasche Wasser gekauft, weil der kleine Kiosk nur die großen, schweren Flaschen führte, die ich leider immer in der Hand halten musste. Und nun machte ich mich auf den Weg in diese heiße, trockene Weite. Für Kilometer rollte ich dahin, immer in Richtung der Burgruine, die auf einem Gipfel in der Ferne stand. Die Dämpfer schluckten, was das Zeug hielt. Nach einer Stunde kam ich an ein Flussbett, das halb ausgetrocknet war. Rechts und links standen die Büsche so eng und hoch, dass man auch nicht noch so vorsichtig hätte vorbeigehen können. An die Büsche schloss sich zu beiden Seiten der Acker des Bauern an. Halb ausgetrocknet war das Flussbett nicht zu überwinden, denn der lehmige Boden war zu klebrigem Schlamm geworden, in den man tief einsackte, wenn man ihn betrat. Fahrrad und Fußspuren im Schlamm zeigten mir, dass es auch schon andere versucht hatten. Ein Jeep, der vor dem Flussbett stand, musste umkehren. Ich selbst wollte dies nicht, dann ich hatte bereits viele Kilometer durch die Dürre hinter mir und wollte gewiss nicht den ganzen Weg zurückfahren, nur weil 30 Meter Schlamm den Weg versperrten. Irgendwo musste es eine Stelle geben, wo ich hinübergelangen könnte. Und so versuchte ich mein Glück beim Acker, den ich mit dem Rad auf der Schulter durchstieg. Schließlich fand ich eine trockene Lücke zwischen den Büschen und im Flussbett, wo ich dieses überqueren konnte. Nach diesem Hindernis fuhr ich weiter, stundenlang durch die Hitze. Meine Wasservorräte wurden langsam weniger und vor allem waren sie jetzt auch nicht mehr erfrischend. Dann kam es zum abenteuerlichen Höhepunkt der Tour: ein Stacheldrahtzaun. Nach rechts und links zog er sich auf Kilometer über die angrenzenden Hügel. Hier war kein Durchkommen. Der Weg zurück stand nicht zur Debatte. Ich musste also nach vorne und musterte den Zaun.
Keine Menschenseele in der Nähe, die mir hätte Auskunft geben können. Ich fand eine Art Tor, das mittels Draht eingehängt war und das ich öffnete. Ich durchstieg den Zaun und hängte ihn wieder ein. Weiter ging die Fahrt. Plötzlich sprangen dutzende von Kaninchen von rechts nach links, von links nach rechts, und Wildhühner flogen auf. Befand ich mich in einem Reservat? Die Fahrt wurde schneller, ich ließ rollen, peitschte unter großem Klappern dahin. Da zeigte sich plötzlich in ca. 30 Metern eine schwarze Silhouette auf dem Weg. Ich hielt ruckartig an. Ein Stier! Er hatte mich bereits gesehen und im Fokus. Wir schauten uns an. Ich wusste nicht, wie ich mit einem wilden Stier in freier Natur umgehen sollte. Würde mich das Tier passieren lassen? Sah es vielleicht täglich Menschen und war an diese gewöhnt? Oder würde ich ungebeten in sein Revier eindringen? Der Blick ging zurück zum Zaun. Wo sollte ich hin? Nach hinten blieb nur die wirklich unmögliche, stundenlange Rückfahrt, nach rechts und links versperrte mir der Stacheldraht den Weg über die Hügel. Ich musste einen anderen Weg finden, und zwar ganz schnell. Ruhig schaute ich mir mein Navigationssystem an, das mir noch einen zweiten, kleinen Pfad zur Rechten anzeigte. Ich beschloss, mir diesen näher anzusehen. Langsam rollte ich in diese Richtung, möglichst leise und ohne all zu auffälliges Verhalten. Nun bemerkte ich auch den Tierkot auf dem Boden und die Hufspuren. Hoffentlich würde ich nicht mitten in eine Herde von Kühen und Stieren fahren. Nach etwa 150 Metern fand ich ein zweites Tor. Schnell öffnete ich dieses und stieg auf die andere Seite des Zauns, nur um festzustellen, dass ich mich dann ja wieder auf der Seite befinden würde, aus welcher ich gekommen war. Ich musste wieder in das Gehege. Diesmal ließ ich aber das Tor hinter mir offen - für alle Fälle und auch auf die Gefahr hin, dass der Stier oder andere Tiere das Weite suchen könnten. Mein Leben war mir nun wichtiger. Und wer weiß: Vielleicht habe ich einem Stier, der einen Monat später in einer Arena getötet worden wäre, ja so auch das Leben gerettet. Ich fuhr nun weiter in das Gehege, dem Zaun folgend, der sich nun auch rechts von mir entlangzog. Ich fuhr vorbei an Hengsten, die mich genau musterten. Aber diese konnten mich jetzt nicht mehr schocken. Ein paarmal musste ich drehen und hin- und herfahren, bis ich ein drittes Tor erreichte, das ich blitzartig öffnete. Auf der anderen Seite fand ich keine Hufspuren vor. Hier war ich wohl in der Freiheit angelangt. Eine Schotterpiste kam nun auch in Sicht. Was freute ich mich über diese Straße! Ein Land Rover fegte nun an mir vorbei, in die Richtung, in die auch ich fuhr. Ich wusste, dieser Weg kann nur richtig sein. Ich nahm also wieder Geschwindigkeit auf und schoss schließlich um eine Ecke - mitten hinein in eine ganze Herde von Kühen und Stieren, die ohne Zaun frei neben mir weideten. Der Land Rover hatte einen der Stiere aufgeschreckt, und das Tier stand nun auf der Schotterstraße und schaute dem Fahrzeug nach. Dann bemerkte es mich und verharrte in siner Position. Rechts hinter mir stand ein weiterer Stier. Auch dieser hatte mich fest im Blick. Was nun? Mein Navigationssystem zeigte mir jetzt eine Straße an, eine richtige Straße aus Asphalt. Sie musste sich etwa 800 Meter hinter dem Hügel vor mir befinden, vielleicht 1200 m. Ich überlegte, ob ich den Hügel hochsteigen solle, um mir einen Rundumblick zu verschaffen. Aber dabei wäre ich minutenlang von den Stieren beobachtet worden und dort oben hätte ich vermutlich wieder nur Stacheldrahtzaun gesehen. Außerdem war ich mit meinen Kräften und vor allem Nerven nun am Ende. Einen Hügel mit 12 kg auf dem Rücken und einem 14 kg-Fahrrad hochsteigen, nein, das wollte ich nicht. Ich verhielt mich ruhig und wartete darauf, dass der Stier vor mir die Straße verlassen würde. Dabei hielt ich auch Ausschau nach dem Exemplar schräg hinter mir. Minuten vergingen, die mir wie Stunden vorkamen. Endlich bewegte sich der Stier vor mir wieder von der Straße auf die Weide, hin zu seiner Herde. Ich musste es jetzt versuchen. Leise stieg ich auf und fuhr unter nicht zu kleinem Gang, also mit ruhigen Beinbewegungen die Straße weiter. Das Tier schaute mich an, aber wurde nicht nervös. Als ich den Stier endlich passiert hatte und um die Ecke gebogen, außer Sichtweite der Herde gefahren war, gab es kein Halten mehr. Jetzt trat ich in die Pedale wie ein Verrückter, der Asphaltstraße entgegen. Ein paar hundert Meter und ein Bodengitter später kam ich in das Minidorf Barriada de Fátima, wo eine einzige, kleine Bar geöffnet hatte. Die Familie saß beim Mittagsessen. Ich kaufte eine Cola, die ich unter größtem Genuss, aber auch totaler Erschöpfung trank. Der Familie tat ich offenbar sehr leid, denn sie boten mir an, mit ihnen zu essen. Da ich nur noch in Arcos ankommen und ein Zimmer finden wollte, nahm ich dankend einige Stücke Fleisch und etwas Brot an und brach dann gleich auf - aber nicht ohne eine neue 1,5 L-Flasche eiskalten Wassers. In Arcos besorgte ich mir sofort ein Zimmer und teilte dem Personal mit, dass ich zunächst aber noch auf Sightseeing-Tour gehen und später am Abend wiederkommen würde. Die Rundfahrt im Ort kam an diesem Tag absolutem Luxus gleich. Ich gönnte mir ein Eis, genoss die Aussicht von der Stadtmauer und den Anblick der vielen engen, uralten Gassen, die traditionell-romantisch dazu einlden, die Seele baumeln zu lassen. In Arcos hatte ich auch wieder einen Föhn in meinem Bad und konnte endlich wieder waschen und trocknen. Die 85 Kilometer lange Tour des achten Tages war mit Sicherheit das Nonplusultra in Sachen Abenteuer auf dieser Reise. In der Tat hatte sie mehr Abenteuer geboten als mir eigentlich lieb ist. Hier war ich tief in eine Gegend eingedrungen, in der ich mich hätte verlieren bzw. in der mir etwas hätte zustoßen können. Jedoch: Spätestens jetzt hatte man aber auch etwas wirklich Interessantes zu erzählen!
Am neunten Tag hatte ich eine wieder etwas langatmige Reise vor mir, diesmal nach Sevilla. Wieder hatte ich über Stunden mit starkem Gegenwind zu kämpfen. Sevilla selbst bietet gleich ganze Massen touristisch ausgeschlachteter Bauten, die man natürlich alle "gesehen haben muss". Ich nahm mir auch tatsächlich die Zeit, mir viele davon anzusehen. Besonders hübsch fand ich die Kathedrale und den San-Telmo-Palast. Vor allem letzterer ist auch fotografisch gut in Szene zu setzen, weil er etwas offener liegt als die anderen Touristenattraktionen. Nichtsdestotrotz kam es dann zu einer Odyssee von Zimmersuche. In Sevilla klapperte ich mehrere Pensionen und kleine Hotels ab, die alle entweder ausgebucht waren oder mir ein Zimmer für "nur eine Nacht" verweigerten. Dadurch verlor ich viel Zeit, die mir dann fehlte. Folglich wurde es wieder dunkel und spät, bis ich endlich abseits der Stadt nach 106 Kilometern in dem Ort Bormujos ein Zimmer im "Domocenter" fand, wo man mir sogar empfahl das Rad mit aufs Zimmer zu nehmen. Da stand es nun, auf Parkettfußboden in einem Edel-Studio-Appartment mit Küche.
Am nächsten Tag lautete das Ziel Huelva. Die Fahrt war mit 112 Kilometern lang und schweißtreiebnd, aber insgesamt problemlos. Ich kam früh genug an, um mir noch in aller Ruhe den Nachbau der Flotte des Kolumbus im Kloster "La Rabida" ansehen zu können. Was ein schöner Ort bei Sonnenuntergang! Die Rückfahrt in die Stadt über den Radweg am Strand entlang brachte ebenfalls viele zauberhafte Aussichten mit sich. Jetzt konnte ich die Momente viel mit viel mehr Ruhe genießen, denn ich wusste, am nächsten Tag würde ich die portugiesische Grenze erreichen und mein Vorhaben erfolgreich und perfekt in der Zeit abschließen. Hier in Huelva suchte ich mir bei Anbruch der Dunkelheit das erstbeste Hotel. Es war ein Vier-Sterne-Hotel, aber es war mir gleich. Es war eh schon alles teuer genug gewesen und ich wollte mich nun entspannen für meine letzte Fahrt am nächsten Tag. Ich buchte das Zimmer sogar auch für den nächsten Tag, weil ich für meine Zugrückfahrt am übernächten Tag wieder zuerst wieder nach Huelva zurückkommen musste. An diesem Abend wurde Halloween gefeiert. Die Stadt war voll mit Menschenmassen und schreienden Kindern, die mir aber nicht die gute Laune verderben konnten, während ich frisch geduscht in einer Gourmetbar mein wohlverdientes Mahl einnahm.
Am letzten Tag fuhr ich zum "Embalse de Piedras" und anschließend nach Ayamonte, wo ich über die Brücke nach Portugal gelangen wollte. Weite Teile der Strecke in diesem Grenzgebiet waren nicht so schön anzusehen wie die Burg in Almódovar oder das Cargadero de Mineral, und auch einige überdimensionale Wachhunde ebensolcher Villen meinten wieder, mir aggressiv knurrend und bellend nach den Füßen schnappen und hinter mir herrennen zu müssen, aber jetzt lockte nur noch der erfolgreiche Abschluss der Tour. Dieser sollte sich aber komplizierter gestalten als angenommen. Nicht nur kam dieses Mal zwischendurch stürmisches Wetter auf. Vielmehr wurde die Überfahrt zur anderen Seite zum Problem, denn über die große Grenzbrücke führt lediglich die Autobahn, und diese ist ja für Fahrräder nicht genehmigt. Hier gab es auch keinen Seitenstreifen, über den man eventuell und verbotenerweise hätte fahren können. Nach über 1000 Kilometern wollte ich aber ein Foto vor dem Schild, das die Grenze Portugals verkündet! Und so entschloss ich mich dazu, mein Rad senkrecht schiebend über den Seitentrakt dieser Brücke zu bewegen, der eigentlich für die Brückenarbeiter gedacht ist. Es gab dabei aber diverse verschlossene Türen zu umgehen. Dafür musste das Rad bei einem Verkehrsloch schnell über die Leitplanke gehoben, nach vorne geschoben und wieder darübergehoben werden. Schließlich kam ich kurz vor der Mautstelle am begehrten Objekt an, wo ich mich in einer ausgiebigen Fotosession ergang, bevor ich das Rad wieder auf die andere Seite schob und mir ein Taxi zurück nach Huelva suchte, wo ich noch ein zweites Mal nächtigen sollte, bevor ich am nächsten Tag an die Ostküste zurückreiste.
Dort angekommen, versuchte ich zunächst um Mitternacht noch etwas zu essen zu finden, was mich durch das nächtliche Strichviertel führte - ein gewiss wunderbares Erlebnis. Am nächsten Tag erwartete mich dann in Garrucha ein letzter Schock in Form meiner über zwei Wochen in der feucht-salzigen Meeresluft festkorrodierten Handbremse, die erst nach zwei Stunden des verzweifelten Anfahrens freibrach. WAS EIN ABENTEUER!!!


Bleibende Eindrücke:

  • Positiv: Traumhafte Kulissen wie aus dem Bilderbuch sowie zahlreiche geschichtsträchtige Bauten und Orte. Ein Traum für Landschafts- und Architekturfotografen. Und natürlich: Spitzen-Wetter!
  • Ausdrücklich negativ: Extrem viele streunende, teilweise aggressive Hunde, Unmengen von zerbrochenem Glas und anderem Müll in der Landschaft. Außerdem: Teilweise lebensgefährliche, weil lückenlose Umzäunung großer Areale.
  • Die Tristesse der grauen, abendlichen Sierra Nevada und das damit verbundene Gefühl, als Mensch doch ganz schnell verloren zu sein, wenn man einmal nicht aufpasst.
  • Auge in Auge mit freilebenden Stieren.
  • Hervorragendes Essen, wenn man nicht zu wählerisch ist.
  • Lieblings-Momente: Castillo de Almódovar del Rio + Cargadero de Mineral bei Agua Amarga.

Fotos: