Abruzzen 2019


2019 hatte ich bisher die Pyrenäen, einmal mehr die Alpen sowie die Hohe und Westliche Tatra überquert. Und noch hatte ich eine Woche Zeit, um in diesem Sommer ein letztes Abenteuer unterzubringen, bevor die Arbeit mich wieder rufen sollte. Mich reizte es schon länger, die Abruzzen zu erkunden und so reiste ich am 10. September nachts mit Auto gen Italien ab. Nach 15 Stunden Fahrt kam ich in L’Aquila an und besorgte mir ein Zimmer für die Nacht. Was über die kommenden zwei Tage folgen sollte, war zwar eine zeitlich kurze Reise, aber keinesfalls eine leichte. Harte Anstiege und hohe körperliche Herausforderungen würde diese Tour mit sich bringen, allerdings auch einige der schönsten Momente und Fotos, die ich bisher erleben durfte.

Dass mich die erste Etappe in den Abruzzen extrem schlauchen würde, war mir vorab bereits klar gewesen. Dass es dann jedoch so schlimm kommen würde, hätte ich aber nicht erwartet. Mit dem üblichen, überschweren Gepäck ging es am Morgen des 11. September für 40 km ausschließlich bergan bis in den Nachmittag hinein. Die Sonne brannte unbarmherzig und Orte, in denen man etwas Kühles hätte kaufen können, waren rar gesät. Seit einem Tag schon plagte mich ein Schluckauf, der kaum aussetzte. Entsprechend anstrengend war die gesamte Etappe, kräftezehrend jeder Atemzug, weil permanent durchsetzt vom Schluckauf. 

Den Pass auf 1765 m erreichte ich um etwa 15 Uhr. Dann durfte ich eine kurze Abfahrt in eine karge Hochebene genießen, in welcher Rinderherden gehalten wurden. Nur wenig später musste ich wieder bergauf, um über den nächsten Kamm zu kommen. Mein großes Ziel dieser Tour war Rocca Calascio, eine alte Burgruine auf über 1400 m. Ich wollte sie im Abendlicht erleben. Als ich schon kaum noch konnte, sah ich sie von weitem. Ein Pfad führte Richtung Burg. Dieser sollte mich eine halbe Stunde später zur Burgauffahrt bringen. Ohne Motor und mit dieser Last auf dem Rücken die pure Qual. Um ca. 18 Uhr stand ich dann tatsächlich vor ihr... Was für ein Anblick! Was für eine Gegend! Und das Beste: Ich hatte sie für mich alleine. Alles, was ich hörte, waren das leise Rascheln der Gräser und das Zirpen der Grillen. Ein besonderer Moment, ein Moment, in dem man dankbar sein konnte für die Möglichkeit, so etwas überhaupt erleben zu dürfen, dafür, körperlich, zeitlich und auch finanziell in der Lage zu sein, solche Reisen unternehmen zu können. Ich saugte den Augenblick auf. Ich genoss.

Leider machte ich zu lange Fotos und Videos und genoss ein wenig zu lange,  so dass ich anschließend Schwierigkeiten hatte, im Dunkeln ein Zimmer zu finden. Ich fuhr nach Santo Stefano di Sessanio. Wie aus einem Mittelalterfilm wirkt dieses Dorf zur blauen Stunde. Leider gab es keine verfügbaren Zimmer. Ich sah mich bereits die Nacht im Freien verbringen. Es war unmöglich, noch weiter zu fahren. In letzter Sekunde und mit viel Glück fand ich schließlich eine Bleibe um fast 21 Uhr abends. Vollkommen ausgelaugt beendete ich meine erste Etappe nach etwa 80 Kilometern, von denen ca. 60 nach oben führten, hier in Santo Stefano.

Am zweiten Tag wollte ich mein Ziel, Pescara an der Adriaküste, erreichen. Die Strapazen des ersten Tages steckten mir noch unnachgiebig in den Knochen. Po und Beine schmerzten, die Sonne glühte weiter und der Schluckauf brachte mich um den Verstand, aber mit dem beruhigenden Gefühl, Rocca Calascio im Sonnenuntergang erlebt haben zu dürfen, hatte ich einen kleinen Joker im Ärmel. Ich brauchte nur noch mein Ziel erreichen. Sämtliche wichtigen Fotos und Videos hatte ich bereits gemacht. Die Route führte mich zunächst zurück nach Calascio und von dort hinauf nach Castel del Monte auf 1400 m. Fast eine Stunde kostete mich die Auffahrt, die überraschend unangenehm ausfiel. Irgendwie hatte ich mit ausgeprägteren Talfahrten gerechnet. Im Ort angekommen, stürmte ich die erste Bar, die ich finden konnte und gönnte mir einen wohlverdienten Eistee. Nun ging es für einige hundert Höhemeter hinab. Oberhalb Ofenas erwartete mich dann aber nochmal eine etwa fünf Kilometer lange Steigung, bevor ich endlich den Weg hinunter zur Adria antreten konnte. Dieser zog sich über Stunden. Zahllose kleine Ortschaften galt es zu durchrollen, stets begleitet von meiner erschwerten Atmung und einem erschöpften Körper. Gegen 18 Uhr erreichte ich schließlich den Hafen und die Strandpromenade von Pescara. Weitere 90 km hatte ich hinter mich gebracht und damit dieses außergewöhnlich bildgewaltige, aber auch anstrengende Mikroabenteuer. Mit dem Wissen, in diesen Monaten vier Gebirge, die Pyrenäen, Alpen, Tatra und Abruzzen, überquert zu haben und in sieben Ländern gefahren zu sein, ließ ich den Bikesommer 2019 am abendlichen Strand ausklingen, während mein Blick aufs Meer hinausschweifte…


Rad: MARIN San Quentin 3 (27,5")
Genutzte Bereifung:
Veetire 2,6" (v + h)

Tagesstrecken:

Tag 1: L'Aquila - San Stefano di Sessanio
Tag 2: San Stefano di Sessanio - Pescara

Bleibende Eindrücke:

  • Traumhafte Natur.
  • Rocca Calascio im Sonnenuntergang = unbezahlbar.
  • Überraschend harte Anstiege.
  • Gute, mediterrane Küche.

Fotos: